Tourismus: moderne Ausbildungen als Lösung gegen Fachkräftemangel
17.01.2023
Die Tourismusbranche bietet viele Ausbildungsmöglichkeiten und kämpft doch mit sinkenden Ausbildungszahlen. Dabei sichert die duale Ausbildung die Fachkräfte von morgen – doch wie genau wird sie umgesetzt? Mit einer Delegation aus Costa Rica besuchte GOVET Betriebe, Schulen und Kammern.
Während des Studienbesuches einer siebenköpfigen Delegation aus Costa Rica stand die Ausbildung in der Tourismusbranche im Fokus. Tourismus, Hotellerie und Gaststätten tragen mit ihren Dienstleistungen und Produkten wesentlich zum Bruttoinlandsprodukt bei. In Deutschland mit etwa 4 % und in Costa Rica mit etwa 6,3 %. Gleichzeitig herrscht in der Branche in beiden Ländern enormer Fachkräftemangel. Die Ausbildung in der Branche ist somit wichtiger denn je, sichert sie doch die Fachkräfte von morgen. Ein Grund mehr für die Delegation aus Costa Rica sich dem Thema zu nähern und mehr über die duale Ausbildung in Deutschland zu erfahren. Die Delegation setzte sich zusammen aus den Mitgliedern der Regionaldirektionen bzw. aus dem Vorstand des INA (Instituto Nacional de Aprendizaje, staatlicher Anbieter von Aus- und Weiterbildung).
Anita Milolaza, wissenschaftliche Mitarbeiterin am BIBB, hat die Neuordnung der Tourismusberufe begleitet. Zum Beginn des Ausbildungsjahres 2022 wurden zwei neue Ausbildungsberufe geschaffen: Fachkraft Küche und Fachkraft Gastronomie. Diese neuen Ausbildungsberufe bringen eine Besonderheit mit sich, denn es handelt sich um zweijährige Ausbildungen. Sie ergänzen die bisher dreijährige Ausbildung als Koch/ Köchin oder Fachfrau/-mann für Restaurants. Ziel ist es durch die Verkürzung, mehr Menschen für die Ausbildung zu gewinnen, denen eine dreijährige Ausbildung zu lang erscheint. Zudem eröffnen die zweijährigen Ausbildungen eine Rückfall-Option für Menschen, die die dreijährige Ausbildung als Koch/ Köchin oder Fachfrau/-mann für Restaurants und Veranstaltungsgastronmie nicht erfolgreich abschließen: Sie haben künftig die Möglichkeit auf die zweijährigen Abschlüsse zurückzufallen und trotzdem einen vollwertigen Ausbildungsabschluss zu erlangen.
Die Ausbildungsordnungen der fünf bereits bestehenden Berufe in der Tourismusbranche wurden modernisiert. Anita Milolaza, BIBB, erläuterte der costa-ricanischen Delegation auch den inhaltlichen Aufbau der Ausbildungsgruppe, die sich aus den nun insgesamt sieben Berufen zusammensetzt. Die Gruppe gliedert sich in Hotellerie-, Restaurant- und Kochberufe auf. Die Inhalte des ersten Ausbildungsjahres sind für die gesamte Ausbildungsgruppe und alle sieben Berufe gleich, während im zweiten Jahr spezifische Inhalte für jede Berufsgruppe auf dem Lehrplan stehen. Im dritten und letzten Ausbildungsjahr sind die Inhalte dann spezifisch für jeden Ausbildungsberuf.
Neue Gesetzgebung in Costa Rica als Grundlage für neue Ausbildungsprogramme
Die costa-ricanischen Delegationsteilnehmenden berichteten von ihren Erfahrungen in der dualen Ausbildung im Tourismus. Die Teilnehmenden zeigten sich beeindruckt von der Dauer der Ausbildungen in Deutschland. Das INA hat in den letzten 20 Jahren im Tourismus bereits viele Erfahrungen mit der dualen Ausbildung gemacht, insbesondere für Köchinnen und Köche. Die Ausbildungsprogramme umfassten jedoch eine erheblich kürzere Zeitspanne, die über ein Jahr nicht hinausging.
Im Jahr 2019 wurde ein neues Gesetz zur dualen Ausbildung im Land eingeführt. Derzeit befindet sich das INA im Zusammenspiel mit anderen nationalen Akteuren, wie dem costa-ricanischen Bildungsministerium, in einer Phase der Anpassung bestehender und Entwicklung von neuen Ausbildungsprogrammen. Ein kritischer Punkt sei hierbei die Einbeziehung des Privatsektors über Branchenvertretungen, unterstrich Ronald Bolaños, Mitglied des Vorstandes vom INA.
Nur durch kontinuierliche Ausbildung in den verschiedenen Ausbildungsberufen der Branche könne sichergestellt werden, dass der Bedarf an künftigem Fachpersonal gedeckt werde, sagte Mathias Johnen, der als stellvertretender Geschäftsführer des Branchenverbandes DEHOGA Nordrhein auch für die die Region Köln/ Bonn zuständig ist. Er verwies auf die Bedeutung der Ausbildung für eine nachhaltige Fachkräftesicherung in der Branche. Auch die Ausbildungsberufe im Management-Bereich (Hotelfachmann/-frau, Kaufmann/-frau für Hotelmanagement) seien wichtig. Dadurch werde der Weg der Ausbildung für junge Menschen mit Abitur attraktiver und das Thema Ausbildung als möglicher Karriereweg im Management-Bereich gefördert. Die DEHOGA unterstützt Betriebe bei ihrem Ausbildungsengagement durch die Bereitstellung von Informationen zu den gesetzlichen Grundlagen. Sie ist auf Ausbildungsmessen vertreten und wirbt dort für die Berufe in der Branche. Zudem unterstützt die DEHOGA Betriebe durch Austauschprogramme.
Theorie trifft Praxis: Einblicke in den deutschen Ausbildungsalltag im Tourismus
Wie die betriebliche Ausbildung in der Tourismusbranche konkret umgesetzt wird, erfuhren die Delegationsteilnehmenden in zwei Betriebsbesichtigungen. Im Kameha Grand Hotel Bonn gewährte Hoteldirektor Andreas Graeber-Stuch gemeinsam mit seinem Team und seinen Auszubildenden Einblicke in die Abläufe eines großen Hotels. Das Kameha Grand Hotel hat drei Restaurants (darunter ein Sterne-Restaurant), einen eigenes Spa und vielfältige Event- und Kongressmöglichkeiten. Indem man den Auszubildenden Rotationen durch die vielen verschiedenen Abteilungen und Restaurants des Hotels ermögliche, wolle man die Ausbildung attraktiv gestalten, so Graeber-Stuch. Das Unternehmen hat derzeit knapp 30 Auszubildende.
In der Deutschen Jugendherberge Köln-Riehl (DJH) empfing Küchenleitung Reiner Schopen die Delegation und zeigte mit ansteckendem Enthusiasmus wie Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Betrieb und sogar Ausbildung gelingen kann. Die DJH kooperiert mit dem gemeinnützigen Unternehmen ProjektRouter. Gemeinsam unterstützen sie Menschen mit Behinderung dabei, einen inklusiven Berufsweg innerhalb eines regionalen Unternehmens aufzunehmen. Derzeit hat die DJH erstmals und als einziger Hotelleriebetrieb in der ganzen Region drei Auszubildende in zweijährigen Ausbildungsberufen. Sie durchlaufen die vollständige Ausbildung und werden hierbei, gefördert vom ProjektRouter, durch zusätzliche Coachings unterstützt. Man setze als Unternehmen darauf, alle Menschen gemäß ihrer Talente und Interessen einzusetzen, unterstrich Hr. Schopen die Philosphie des Hauses, die von den Gästen sehr geschätzt wird.
Mit dem Besuch bei GKN Sinter in Bonn Mehlem erhielt die Delegation einen weiteren Eindruck von der betrieblichen Ausbildung, diesmal aber im Umfeld eines produzierenden Unternehmens. GKN Sinter produziert Metallteile für Motoren und Maschinen, hauptsächlich für die Automobilindustrie. Frank Prokop, Ausbildungsleiter des Standortes, vermittelte sehr praktisch und verständlich, wie die betrieblichen Abläufe die Ausbildungsinhalte vermitteln können. Wichtig sei, dass Unternehmen genug Flexibilität zur Durchführung der Ausbildung hätten – ein Punkt, der für die Vertreter*innen des INA besonders eindrücklich war. Bisher gebe man in Costa Rica den Unternehmen sehr genaue, stundenbasierte Pläne, die für den Teil der betrieblichen Ausbildung abzuarbeiten seien. Hier müsse künftig anders vorgegangen werden, waren sich die Teilnehmenden einig.
Der Besuch bei der IHK Bonn-Rhein-Sieg und ihrer Gemeinschaftslehrwerkstatt in Siegburg verdeutlichte den Teilnehmenden einmal mehr welche Investitionen die Unternehmen in Deutschland tätigen, um Menschen betrieblich auszubilden und somit ihren Fachkräftenachwuchs zu sichern. Jürgen Hindenberg, Geschäftsführer der IHK Bonn-Rhein-Sieg und Leiter des Bereichs Ausbildung, präsentierte in dem Zusammenhang eindeutige Zahlen: Trotz des großen Ausbildungsengagements von Unternehmen in der Region schätzt man, dass im Jahr 2030 knapp 40.000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, weil die Fachkräfte dafür fehlten.
Neben Ausbildungsbetrieben besuchte GOVET mit der Delegation auch das Robert-Wetzlar-Berufskolleg. Das Berufskolleg ist die für die theoretische Ausbildung in Tourismus- und Gastronomieberufen zuständige Berufsschule im Kreis Bonn-Rhein-Sieg. Schuldirektorin Birgit Hufnagel und Abteilungsleitung Hotel- und Gaststättengewerbe Sabine Bartsch, teilten mit der Delegation Einblicke in die vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen einer Berufsschule. Deutlich wurde hierbei auch die Wichtigkeit der Berufsschulen als Akteur im dualen Ausbildungssystem, gemeinsam mit Unternehmen und Kammern. Vier Schülerinnen und Schüler teilten ihre ganz persönlichen Erfahrungen der Ausbildung mit der Delegation.
Im Abschlussworkshop mit GOVET fassten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die wichtigsten Ergebnisse der Studienreise zusammen. Sie waren sich einig, dass sie insbesondere vom tieferen Verständnis für das duale Ausbildungssystem profitieren würden. Für den costa-ricanischen Kontext sei dabei insbesondere der Blick auf die verschiedenen Akteure des deutschen dualen Ausbildungssystems mit ihren klar zugeschnittenen Rollen von großer Relevanz. Darüber hinaus war die costa-ricanische Delegation beeindruckt von der der hohen Flexibilität des dualen Systems in Deutschland. Ein weiterer wichtiger Punkt sei die starke Einbindung des Privatsektors auf allen Ebenen des dualen Systems.