Berufsbildung in Großbritannien: Fachkräftemangel als zentrale Herausforderung
03.04.2023
In Großbritannien fehlen gut ausgebildete Fachkräfte – in einer alternden Gesellschaft. Das Land möchte sein Berufsbildungssystem stärken und schaut dabei nach Deutschland. Im Rahmen einer von GIUK London ausgerichteten Veranstaltung tauschten sich Berufsbildungsexperten beider Länder aus.
Der Fachkräftemangel in einer alternden Gesellschaft stand im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion vom 27. März zum Thema Ausbildung und Qualifikation in London, die von German Industry UK in Zusammenarbeit mit der Deutschen Botschaft in Großbritannien und der Britischen Handelskammer in Deutschland veranstaltet wurde. Miguel Berger, deutscher Botschafter und Schirmherr von GIUK, und Dr. Bernd Atenstaedt, geschäftsführender Präsident von GIUK, eröffneten die Veranstaltung. In mehreren Keynotes stellten führende britische Wirtschafts- und Berufsbildungsexperten die Herausforderungen der beruflichen Bildung in ihrem Land dar.
Der britische Minister für Ausbildung, Qualifikationen und Hochschulbildung und Unterhausabgeordnete Robert Halfon, drückte seine große Wertschätzung für das deutsche duale System und seine Bewunderung für die Bildungs- und Qualifikationskultur in Deutschland aus. Zugleich umriss er ein umfangreiches Gesetzes- und Maßnahmenpaket der neuen britischen Regierung, mit dem die berufliche Aus- und Weiterbildung gestärkt werden sollen. Sir Michael Barber, der derzeit die britische Regierung in Sachen Qualifikationsprogramme berät, äußerte die Hoffnung, dass die aktuelle Dynamik in eine kohärente Berufsbildungs- und Ausbildungspolitik mündet. Zugleich betonte er aber auch die Notwendigkeit einer gesellschaftsübergreifenden Wertschätzung von Berufsbildung, Qualifikationen und Kompetenzen. So sei es unabdingbar, dass neben politischen Veränderungen auch eine Veränderung in den Köpfen stattfinde – in den Familien, Bildungseinrichtungen und Unternehmen.
Stephen Phipson, Vorstandsvorsitzender von Make UK, der führenden Organisation der britischen Fertigungsindustrie, bezeichnete die Qualifikationslücke und den zunehmenden Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels als die größte Herausforderung für die Wirtschaft. Es bedarf sowohl fortgeschrittener technologischer Kompetenzen als auch grundlegender industrieller und handwerklicher Berufe. Die britischen Perspektiven wurden von Bob Shankly, Personalleiter, BMW Manufacturing (UK), und Sarah Black-Smith, Abteilungsleiterin für Antriebstechnik bei Siemens (UK), mit Best Practices der betrieblichen Ausbildung und Förderung ergänzt.
Dr. Ralf Hermann, Leiter GOVET, informierte über das deutsche Berufsbildungssystem. In seinem Vortrag fokussierte er sich auf die Herausforderungen einer transformativen beruflichen Bildung und auf die grundlegende Rolle von Bildung für Innovationsprozesse. Ähnlich wie in Großbritannien geht es um die Megatrends der Digitalisierung und Nachhaltigkeit und zugleich um demographischen Wandel und Fachkräftemangel. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, kann Deutschland auf seine etablierten kooperativen Governance-Strukturen mit Beteiligung von Staat, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Kammern, auf national anerkannte Standards sowie auf die Ausrichtung des berufsbezogenen Lernens und auf umfassende Handlungskompetenz bauen.
Zudem ist ein breites Verständnis beruflicher Kompetenzen, die über einzelne Tätigkeiten und Aufgaben hinausreichen und die Grundlage für Weiterbildung und lebenslanges Lernen bilden, für die duale Berufsausbildung von zentraler Bedeutung. Das gilt unter den Herausforderungen großer gesellschaftlicher Transformationsagenden umso mehr.
Weitere Kernthemen der Diskussion waren die Berufsorientierung, die sich in Deutschland durch eine frühe Begegnung mit der Arbeitswelt auszeichnet; Inklusion hinsichtlich Geschlecht, Altersgruppen, Migration und sozialer Bildungsbenachteiligung; die Optimierung der Fort- und Weiterbildung sowie das bessere Zusammenspiel von Berufs- und Hochschulbildung.
Das britische Berufsbildungssystem
Ein "duales System" wie in Deutschland gibt es in England, Schottland, Nordirland und Wales nicht. Das Berufsbildungssystem in Großbritannien ist komplex und dezentral gesteuert. Es ist modular aufgebaut und einzelne Module werden zertifiziert und lassen sich zu einem Abschluss kombinieren. Die berufliche Bildung wird durch verschiedene Akteure angeboten:
- Schulen
- weiterführende staatliche Schulen (Further Education Colleges),
- Universitäten,
- private Träger und
- Unternehmen