Südafrika: Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung
14.06.2023
Umdenken angesichts des Klimawandels: Südafrika und seine Nachbarn entwickeln Strategien für eine berufliche Bildung, die eine nachhaltige und grüne Wirtschaft voranbringen. Im Rahmen einer Studienreise in Berlin tauschten sich Experten beider Länder aus – unter anderem auf der re:publica.
Wetter- und Klimaschwankungen nehmen in weiten Teilen Afrikas zu, und dieser Trend ist immer häufiger Grund für Armut, Hunger und Flucht. Die Wirtschaftsleistung afrikanischer Länder könnte klimabedingt in den nächsten Jahrzehnten noch stärker zurückgehen – und diese Prognosen erfordern einen Perspektivwechsel: Nachhaltigkeit muss zu einem Motor für den wirtschaftlichen Wandel werden.
Führende Forscher aus dem südlichen Afrika untersuchen, wie die berufliche Aus- und Weiterbildung eine nachhaltige und grüne Transformation befördern kann. Gleichzeitig bestehen ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit und eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit fort. Große Transformationsprozesse werfen Fragen nach der Sicherheit des Arbeitsplatzes und den benötigten Kompetenzen auf, um mit den Veränderungen in der Arbeitswelt Schritt zu halten. Im südlichen Afrika ist eine gerechte sozial-ökologische Transformation, eine „just transition“, ins Zentrum der Entwicklungsstrategien gerückt. Berufliche Aus- und Weiterbildung spielt dabei eine wichtige Rolle und ist eng verbunden mit Lebenslangem Lernen, Erwachsenenbildung und den lokalen Lebenswelten.
Diese Themen standen auch im Mittelpunkt einer Studienreise mit 15 südafrikanischen Berufsbildungspartnern aus Politik, Wissenschaft, Berufsbildungsbehörden und Colleges, die für einen Austausch mit deutschen Fachleuten nach Berlin gekommen sind. GOVET führte die Studienreise im Rahmen der bilateralen Kooperation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem südafrikanischen Department of Higher Education (DHET) durch.
Erster Höhepunkt war der von Dr. Ralf Hermann, GOVET, moderierte Beitrag zur re:publica 2023 mit zwei Sprecher*innen aus dem Südlichen Afrika. Dr. Presha Ramsarup leitet das Centre for Researching Education and Labour an der Universität Witwatersrand in Johannesburg. Sie forscht zu Lernpfaden und transformativer Nachhaltigkeitsbildung und war an der nationalen Kompetenzagenda für den Umweltsektor beteiligt. Sie warb für besseres datenbasiertes Monitoring, um Kompetenzbedarfe zu projizieren und entsprechende Ausbildungsinhalte zu planen. An einem Beispiel aus der Landwirtschaft demonstrierte sie, wie Umweltbildung und berufliche Bildung in vernetzten regionalen Ökosystemen und in den „Communities“ den Nachhaltigkeitswandel gestalten können. Der sozialen Dimension dieses Wandels kommt in Südafrika aufgrund der gravierenden Ungleichheit besondere Bedeutung zu
In den letzten fünf Jahren hat die Energiewende nichts an der Armut in Südafrika geändert und insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land ist hoch. Wir brauchen einen sozial gerechten und nachhaltigen Wandel. Unser Schlüssel dazu liegt in der beruflichen Bildung.
Auch Dr. Charles Chikunda, Universität Zimbabwe, ging auf das Zusammenspiel zwischen berufsbildenden Schulen und non-formalen Lernorten für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenzen ein. Er koordiniert das UNESCO-Projekt „Nachhaltigkeit beginnt mit Lehrenden“ für die Wirtschaftsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC).
Für den Wandel zur Nachhaltigkeit brauchen wir Curricula, die zu dem passen, was in der Arbeitswelt gebraucht wird. Es ist wichtig, dass Nachhaltigkeit in diesen Curricula mitgedacht wird und Lehrende ihre Auszubildenden für nachhaltiges Handeln sensibilisieren.
Dafür gelte es, das Thema Nachhaltigkeit immer mehr in die Ausbildung zu integrieren. Dies bedeute, dass Nachhaltigkeit Bestandteil des Lecturer and Curricular Development werden muss und sich zum einen in der Aus- und Weiterbildung der angehenden und bestehenden Fachkräfte wiederfindet und zum anderen in der Schulung des Lehrpersonals. Beides sind Schwerpunktthemen in der bilateralen Kooperation zwischen Deutschland und Südafrika.
Dr. Presha Ramsarup
Dr. Presha Ramsarup ist Direktorin des Forschungszentrums für Bildung und Arbeit an der Universität Witwatersrand in Johannesburg, arbeitet eng mit dem Forschungszentrum für Umweltbildung der Rhodes Universität Grahamstown, Südafrika zusammen und ist Honorarprofessorin an der Universität Nottingham. Ihre Forschungsarbeit konzentriert sich auf Lernpfade für nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit und auf Kompetenzbedarfe für einen gerechten Nachhaltigkeitswandel. Sie arbeitete an der ersten nationalen Kompetenzagenda für Umweltsektoren mit, koordinierte das „National Green Skills Project“ und ist an mehreren Forschungsprogrammen beteiligt, die sich mit der Reform der Berufsbildung in Afrika befassen. Sie ist Präsidentin der „Environmental Education Association of Southern Africa“, der sie seit über 20 Jahren angehört.
Dr. Charles Chikunda
Dr. Charles Chikunda koordiniert derzeit das UNESCO-Programm „Nachhaltigkeit beginnt mit Lehrenden“, ein Programm zum Aufbau von BNE-Kapazitäten für Ausbilder*innen von Lehrenden und Ausbilder*innen im Bereich der technischen Berufsbildung, das in 11 Ländern der Southern African Development Community (SADC) läuft. Das Ziel ist die Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in das Bildungs- und Ausbildungsumfeld, mit Schwerpunkten auf Lehrplanänderungen in Lehrerbildungseinrichtungen und TVET-Hochschulprogrammen sowie auf der Stärkung von BNE in der nationalen Bildungspolitik im südlichen Afrika. Ein besonderer Fokus liegt auf Maßnahmen, die die Ausbildung von Lehrern und TVET-Ausbildern für Ziel 4 der SDGs (Hochwertige und inklusive Bildung) beeinflussen. Dr. Charles Chikunda hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Lehrerausbildung in der SADC-Region.
Workshop zu Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung
Auch im Rahmen eines bilateralen Workshops zu Nachhaltigkeit und Berufsbildung wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass Lernende über das Wissen, die Fähigkeiten und die Werte verfügen, die zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung erforderlich sind. Dazu zählt nicht nur, dass nachhaltige Arbeitspraktiken gelehrt werden, sondern auch, dass sie bei der Gestaltung und Durchführung von Berufsbildungsprogrammen vorgelebt werden.
Es entstand ein lebhafter Austausch von Expertinnen und Experten beider Länder aus Politik, Wissenschaft und betrieblicher und schulischer Praxis. Aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) stellte Barbara Hemkes den Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) vor, an dessen Entwickung das BIBB beteiligt war. Teil des Nationalen Aktionsplans sind BBNE-Modellversuche zur curricularen Integration von nachhaltigkeitsbezogenen Kompetenzen in die Ausbildung sowie zur Weiterbildung von betrieblichen Ausbilderinnen und Ausbildern. Die Modell- und Transferprojekte belegten, dass Facharbeit ein essentielles Bindeglied zwischen Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung sei. Nachhaltigkeit müsse als Teil von Geschäftsmodellen gestaltet werden, fasste die Arbeitsbereichsleiterin zusammen. Sie zeigte sich beeindruckt vom strategischen Herangehen der Teilnehmer aus dem südlichen Afrika an Transformationsthemen in Südafrika und sah gemeinsame Problemfelder, die in der bilateralen Kooperation ausgebaut werden sollten:
Wir stellen uns sehr ähnliche Fragen zur Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung. Sehr interessant war der Austausch zu Transformationsfähigkeiten – Kompetenzen im Umgang mit Veränderung und Umgestaltung, die neben den berufsspezifischen Kompetenzen benötigt werden. Hier besteht viel Potenzial für Dialog, für gemeinsame Forschung und Entwicklung.
Hintergrund: BBNE-Transfer
Von 2015 bis 2019 führte das BIBB Modellversuche zum Thema Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung durch. Gefördert wurden insgesamt 18 Projekte. Der Förderschwerpunkt „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung im Transfer für Ausbildungspersonal 2020-2022“ (BBNE-Transfer) hatte zum Ziel, ausgewählte Ergebnisse der BBNE-Modellversuche zu verstetigen. Im Rahmen des BBNE-Transfers wurden die Modellversuche in den Kontext der Digitalisierung gesetzt und Ergebnisse und Produkte auf diese Weise allgemein zugänglich gemacht.
Der Workshop diente auch der Vernetzung der Fachcommunities zu Nachhaltigkeits- und Berufsbildungsthemen aus beiden Ländern. Aus den weiteren Impulsen zu Nachhaltigkeit an Berufsschulen und in der betrieblichen Ausbildung führten zu angeregter Diskussion mit den kompetenten Teilnehmenden im Saal und im virtuellen Raum. Auch die Ideen und Wünsche der Jugend kamen zur Sprache. Nicolas Klasen von youpaN brachte sie zu jedem Themenblock in die Diskussion ein. youpaN ist das Jugendforum, in dem sich junge Menschen an der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) beteiligen. Es wird von der Stiftung Bildung mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung umgesetzt.
Eine ganze Studienwoche in Berlin gab den südafrikanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Einblicke ins duale System und das Engagement seiner Akteure für die Wende zur Nachhaltigkeit. Die Ausbildung von Lehrern für die berufliche Bildung und arbeitsbasierte Studienangebote waren Thema an der TU Berlin. Hans-Liudger Dienel, Prof. für Technik und Bildung, warb dafür, sowohl in der Berufsbildung als auch in der Hochschule praxisorientiert und arbeitsorientiert zu lehren.
Die Berliner Max-Taut-Schule bildet im Bereich Gebäude-Umwelt-Technik aus und schult ihre angehenden Anlagenmechaniker*innen Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik im nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Neben der effektiven und nachhaltigen Energienutzung geht es dabei auch um Abfallvermeidung, Kreislaufwirtschaft, Wasserreinhaltung, umweltschonende Werksstoffe und die Erhaltung natürlicher Lebensräume. Diese Themen sind auch der Innung Sanitär, Heizung, Klempner und Klima (SHK) Berlin wichtig. Andreas Koch-Martin, Geschäftsführer der Innung SHK Berlin, erläuterte hierbei die Rolle des SHK-Kompetenzzentrums bei der Modernisierung klimatechnischer Berufe.
In den Werkstätten der Handwerkskammer (HWK) Berlin konnten sich die südafrikanischen Gäste über Angebote in den Elektroberufen und in der Solartechnik informieren. Die HWK bietet für Berliner Handwerksbetriebe Workshops an, die vermitteln wie diese nachhaltiges Wirtschaften in ihrem Betrieb mit konkreten Maßnahmen umsetzen können. In den Werkstätten konnten sich die südafrikanischen Gäste über Angebote in den Elektroberufen und in der Solartechnik informieren.
Ein Nachhaltigkeitsverständnis, das auch bei den Berliner Wasserbetrieben gelebt wird. Mit Sven Krausch, Leiter der Ausbildungsabteilung, tauschte sich die Delegation darüber aus, wie bedeutsam es ist, jungen Fachkräften einen ressourcenschonenden Umgang mit Energie zu vermitteln. Die Berliner Wasserbetriebe setzen beispielsweise bei der Ableitung und Reinigung des Abwassers auf neueste Technologien und erneuerbare Energien. Ein bewusster Umgang mit der Schlüsselressource Wasser ist in Afrika im Zuge des Klimawandels ein zentrales Thema – und berufliche Bildung spielt für eine nachhaltige Wasserwirtschaft eine entscheidende Rolle.
In Kontakt und Austausch mit Menschen zu kommen, die auf unterschiedliche Weise berufliche Bildung gestalten und Antworten auf dringende Fragen zu finden, empfand die südafrikanische Delegation besonders wertvoll.