Ausbildung in den USA: Was passiert zwischen 18 und 29 Jahren?
27.07.2023
Auf Anfrage der präsidialen Verwaltung der USA organisierte GOVET für eine dreiköpfige Delegation Mitte Juli eine Studienreise in Berlin und Umgebung. Das Hauptinteresse des Analyse-Teams aus dem Bereich Arbeitsmarkt und Bildung galt dem politischen Rahmen der Fachkräftesicherung.
Welche Aufgaben übernimmt der Staat bundesweit und regional, um den Anforderungen und Herausforderungen für Wirtschaft und Umwelt gerecht zu werden? Die Frage dahinter, die sich für die Delegation des US-amerikanischen Office of Management and Budget (OMB) wie ein roter Faden durch die Besuchswoche in Deutschland zog: Wie kann es gelingen, dass Highschool-Absolvent*innen in Amerika die Karrierespur des Apprenticeship-Modells verfolgen, statt erst mit durchschnittlich 29 Jahren eine mindestens zweijährige Ausbildung zu absolvieren?
Das Modell einer praxisorientierten beruflichen Aus- und Weiterbildung wird in den USA seit Jahren auf höchster politischer Ebene diskutiert. In einer State of The Union-Rede im Jahr 2015 sagte Barak Obama: „Heute Abend fordere ich (…) mehr Unternehmen auf, mehr Bildungsleistungen und bezahlte Lehrstellen anzubieten – Möglichkeiten, die Arbeitnehmern die Chance geben, besser bezahlte Jobs zu bekommen, auch wenn sie keine höhere Ausbildung haben“. Joe Biden versprach 2022 an gleicher Stelle: „Wir werden (...) die Kosten senken, um die Wirtschaft in Schwung zu halten und den Arbeitnehmern eine faire Chance zu geben, indem wir mehr Qualifizierungsmaßnahmen und Lehrstellen anbieten und sie auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten und nicht nur ihres Abschlusses einstellen“. Auch die Präsidenten George W. Bush und Donald Trump setzten sich vor dem Hintergrund eines massiven Fachkräftebedarfs für die Verbreitung von „Apprenticeships“ ein. Der politische Wille für eine breitere praxisorientiertere betriebliche Ausbildung ist also da.
Dennoch zögern viele US-Unternehmen, in die Personalentwicklung zu investieren, Lernortkooperationen nachhaltig zu pflegen und landesweit gültige Standards mit zu entwickeln. Deutsche Firmen in den USA aus den Bereichen Maschinen-, Anlagen und Kraftfahrzeugbau hingegen möchten verstärkt dual ausbilden und werden dabei auch von den Auslandshandelskammern unterstützt. Aber der Verwaltungs- und Organisationsprozess ist lang, die Ausbildung teuer und die Akquise von Auszubildenden schwierig. Hinzu kommt, dass Positionen von Lehrkräften an Community Colleges als wenig prestigeträchtig gelten. Eine Karriere in diesem Sektor ist aufgrund schlechter Bezahlung wenig attraktiv. Momentan befinden sich jährlich rund 800.000 Azubis in den USA in einem Apprenticeship-Programm. Was dabei viele junge Menschen nach der Highschool nicht realisieren: Die meisten Azubis verdienen, laut Internetportal www.apprenticeship.gov, rund 80.000 Dollar jährlich und nach der Ausbildung verbleiben zu rund 90% in den Unternehmen, haben also hervorragende Übernahme-Chancen.
Einblicke in Ausbildungsstrukturen und Fachaustausch
Die Besuche in den drei für Berufsbildung relevanten Bundesministerien veranschaulichten der Delegation die Rolle des Staates in der beruflichen Bildung und die Haushaltsposten für Bundesprogramme: Eine fachliche Einführung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zum deutschen Berufsbildungssystem und ein Impuls zu den aktuellen Projekten, Projektionen und Prognosen im Bereich Fachkräftesicherung1 boten einen Einstieg in Kernthemen. Im Arbeits- und Sozialministerium (BMAS) wurden Themen wie Ausbildungsgarantie, Kurzarbeitsmodelle und die Allianz für Aus- und Weiterbildung vorgestellt. Das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium (BMWK) konzentrierte sich auf die Skills Experts-Initiative an den Auslandshandelskammern und die nationalen „Willkommenslotsen“, ein Programm zur Integration von Geflüchteten in deutsche Unternehmen, sowie auf Aspekte der internationalen Zusammenarbeit.
Von der Metaebene ging es in die Praxis der Berufsbildung – zunächst zum Berliner Bildungsträger LIFE e.V., der seit Jahrzehnten erfolgreich Modellprojekte und Kampagnen (Berliner Girls´ und Boys´ Day, EnterTechnik) zu Gleichstellung, Antidiskriminierung, transformativer Bildung, Umwelt- und Klimaschutz durchführt. Der niedrigschwellige Ansatz stand im Mittelpunt der lebhaften Diskussion. Der MINT-Bereich für die Fachkräfteausbildung steht auch in den USA oben auf der politischen Bildungs-/Arbeitsmarkt-Agenda.
In der internationalen Beratung wird immer wieder deutlich, dass der Mechanismus der Verbundausbildung sich für kleine und mittelständische Unternehmen besonders gut im Rahmen von Pilotprojekten eignen würde, wenn auch der Organisationsprozess recht komplex sein kann. Die Initiative „Verbundausbildung“ an der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin und das Ausbildungszentrum des Technologieunternehmen ABB zeigten den Berliner Weg mit der teilweise öffentlichen Förderung, um mehr KMU für die Aus- und Weiterbildung zu motivieren. Dass sich die Kosten erst im Verlauf des Verbleibs im Unternehmen nach erfolgreicher Prüfung der Azubis rechnen, müssten die US-Unternehmen erst besser verstehen lernen, meinte ein Delegationsteilnehmer
Der Leiter des ABB-Ausbildungszentrums in Berlin berichtete der Delegation, dass er mit seinen Kolleg*innen von ABB USA versuche, dort eine praxisnahe Ausbildung einzuführen. Er sei allerdings aufgrund der Komplexität der Lernortkooperation und der Organisation des Ablaufes bisher noch nicht erfolgreich gewesen – ein Aspekt, den sich die Gäste aus USA umgehend notierten.
Unter anderem in den USA bildet BOSCH jedes Jahr weltweit 6.000 Jugendliche in 30 Berufen aus. Um der Delegation ein Bild von der Ausbildung bei Bosch USA in der IT-Branche zu vermitteln, waren beim Besuch des Berliner Unternehmensstandortes die leitenden Kollegen aus Amerika live zugeschaltet. Tenor des Austauschs: Die Unternehmenskultur in den USA muss sich so entwickeln, dass ausgebildete Fachkräfte im Betrieb bleiben und dort Karriere machen können. Der nach Berlin angereiste Ausbildungsleiter des Werks in Stuttgart-Feuerbach betonte, ein Erfolgsweg sei die gezielte Talentförderung im Unternehmen und stellte der Delegation das neue „Crazy Lab“ vor. Hier können Auszubildende Prototypen für benachbarte Startups mit entwickeln.
Jugendlichen überhaupt eine Chance und Perspektive zu einem Ausbildungsangebot zu geben, eine Ausbildungsfähigkeit herzustellen, ist Aufgabe und Ziel der Jugendberufsagentur Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier laufen alle sozialen Dienstleistungen für Jugendliche in besonderen oder schwierigen Lagen, wie Spiel- und Drogensucht oder Überschuldung, zusammen. Handlungsorientiert und pragmatisch sucht das Team individuelle Lösungen und begleitet die Jugendlichen eng im Bewerbungsprozess. Das kompakte, individualisierte Angebot stieß bei der Delegation auf großes Interesse. Bei einem kurzen Besuch im Oberstufenzentrum Kraftfahrzeugtechnik diskutierten die Kolleg*innen mit dem Direktor das Problem des Lehrkräftemangels. Auch in den USA fehlen an den Community Colleges Tausende von Lehrerinnen und Lehrern.
Transformation, ökologische Wende, Fachkräftemangel. Themen, die ebenso in den USA gerade an den traditionellen Industriestandorten eine große Rolle spielen. So lud der Stahlkonzern ArcelorMittal zu einem Besuch in sein Ausbildungszentrum Eisenhüttenstadt – mit dabei der Ausbildungschef des benachbarten TESLA-Werks. Das Spannungsfeld war schnell klar: Hier die Stahlwerker, die demnächst grünen Stahl produzieren, eine bei Jugendlichen unbekannte Firma – dort der weltbekannte Autobauer, der die Stahlprodukte weiterverarbeitet. Sich gegenseitig die Jugendlichen abzuwerben, sei keine Lösung in einer strukturschwachen und bevölkerungsarmen Region. Mehr ausbilden, hochwertig und für qualifizierte Arbeit werben, das sei der Weg – war sich die Runde einig.
Im Wrap-Up stand dann auch die gemeinsame Erkenntnis der deutschen und amerikanischen Kolleginnen und Kollegen: Unabhängig vom Alter, in dem man eine Ausbildung beginnt, bietet Berufsbildung eine Chance, wenn die jeweiligen Stakeholder miteinander arbeiten, sich verständigen und Vertrauen in die zukünftige qualifizierte Workforce haben.
Die deutsche US-amerikanische Kooperation in der Berufsbildung
Mit drei amerikanischen Ministerien (Handel, Arbeit, Bildung) pflegt das BMBF eine Kooperation über eine Joint Declaration of Intent (JDoI) zusammen mit dem BMWK und BMAS. Es gibt seit Jahren regelmäßige Austausche zur Fachkräftesicherung, Arbeitsmarktpolitik und Berufsorientierung. GOVET begleitet die Kooperation fachlich.
-
1
Das QuBe - Datenportal veranschaulicht Ergebnisse der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen (QuBe), mit denen mögliche Entwicklungspfade von Arbeitsangebot und -nachfrage aufgezeigt werden.