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Expertise zur Fachkräftesicherung aus dem Ausland

Qualifizierung im Ausland für die Fachkräftesicherung auf dem deutschen Arbeitsmarkt

07.05.2024

Maßnahmen deutscher Akteure zur Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden im Ausland nehmen zu. Rechtliche Regelungen wurden jüngst überarbeitet, um Erwerbsmigration besser zu ermöglichen. Wie wirkt sich das auf die internationale Berufsbildungszusammenarbeit aus und was leistet sie bereits?

Fachkräftemangel ist weltweit eine Herausforderung. Hauptsächliche Gründe sind dafür meist die demografische Entwicklung sowie fehlende oder nicht adäquate berufliche Bildung. In Deutschland ist – neben der Hebung vorhandener nationaler Potenziale – die Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden aus dem Ausland eine weitere Säule der Fachkräftesicherung. In den Ländern des globalen Südens ist die demografische Entwicklung zwar gegenläufig zu Deutschland, häufig fehlen aber die benötigte berufliche Qualifizierung und zum Teil auch Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Daher stehen auch dort die Verbesserung der Berufsbildung und Migration in Länder mit besseren Beschäftigungsperspektiven im Fokus. Eine faire und nachhaltige Erwerbs- und Ausbildungsmigration stellt aber auch eine komplexe und meist langwierige Herausforderung dar.

Um die Zuwanderung qualifizierter Personen aus dem Ausland zu erleichtern, wurde das deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiterentwickelt; es tritt bis zum 1. Juni 2024 stufenweise in Kraft. Bei der beruflichen Qualifizierung der Zuwandernden leistet die internationale Berufsbildungszusammenarbeit (iBBZ) vor allem im Herkunftsland bereits einen wichtigen Beitrag. Genau diesen Anschluss beleuchtete GOVET Ende 2023 im Fachseminar des Runden Tisches für internationale Berufsbildungszusammenarbeit „Qualifizierungsmaßnahmen im Ausland im Rahmen der Fachkräftegewinnung für Deutschland“. Die über 80 Teilnehmenden aus dem In- und Ausland tauschten sich intensiv zu Erfahrungswerten, Herausforderungen und Gelingensbedingungen aus - darunter Vertreterinnen und Vertreter aus Bundesministerien, Botschaften, Bundesländern, der GIZ sowie Auslandshandelskammern.

Neue gesetzliche Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung eröffnet Fachkräften und qualifizierten Arbeitskräften neue Einwanderungswege. Damit ändern sich auch die Regelungen für die Berufsanerkennung in Deutschland. In bestimmten Fällen sind beispielsweise die Einreise und die Aufnahme einer Arbeit ohne Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation möglich. Alexander Studthoff aus dem BIBB-Team Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen gab in seinem Vortrag Einblicke ins Thema, eine wichtige Orientierung für die Qualifizierung im Ausland.

Bisher konnten ausländische Fachkräfte nur in Deutschland arbeiten, wenn ihr Abschluss in Deutschland anerkannt worden war oder sie dort eine Ausbildung gemacht hatten. Als Fachkraft gilt laut Aufenthaltsgesetz entsprechend nur, wer die deutschen Ausbildungsanforderungen erfüllt. Die Anerkennung war also Voraussetzung dafür, einen Aufenthaltstitel zu erlangen und Qualifizierungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt adäquat einzubringen.

Seit März 2024 sieht die Weiterentwicklung des Gesetzes nun drei Säulen für die Fachkräftezuwanderung vor: Die Fachkräftesäule, die Erfahrungssäule und die Potenzialsäule. Die Fachkräftesäule verlangt weiterhin eine volle Anerkennung des Abschlusses, um in Deutschland als Fachkraft arbeiten zu dürfen, erlaubt aber den Zuwandernden mehr Freiheit, so zum Beispiel in der Berufswahl. Im Rahmen der beiden anderen Säulen können nun unter bestimmen Bedingungen auch nicht anerkannte Fachkräfte zur Arbeit in einem nicht reglementierten Beruf nach Deutschland einwandern. Voraussetzung sind ein im Ausbildungsland staatlich anerkannter Abschluss, zwei Jahre relevante Berufserfahrung und ein Mindest- oder Tarifgehalt. Anstelle der zweijährigen Berufserfahrung kann eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zur nachträglichen Anerkennung nach Arbeitsantritt (Anerkennungspartnerschaft) genutzt werden. Alternativ gilt auch ein vom BIBB überprüfter AHK-Abschluss als Voraussetzung. Die Potenzialsäule erlaubt eine Einreise auch ohne konkreten Arbeitsvertrag zur Arbeits- oder Ausbildungsplatzsuche, sofern man bereits die Anerkennung als Fachkraft hat oder über eine Chancenkarte anhand verschiedener Kriterien (wie ein im Herkunftsland staatlich anerkannter Abschluss und A2-Deutsch- oder B2-Englischkenntnisse) genügend Punkte gesammelt hat. Wie im bisherigen System gibt es parallel auch weiterhin Ausnahmeregelungen für bestimmte Berufe wie IT-Spezialist/-in, Berufskraftfahrer/-in oder Landarbeiter/-in (saisonal) oder für den Westbalkan. Sie können auch ohne nachgewiesene Qualifikation in Deutschland arbeiten.

Ein erstes Fazit: Die gesetzlichen Neuregelungen ermöglichen mehr Optionen und Wege der Berufsanerkennung, gleichzeitig ist der Orientierungs- und Beratungsbedarf dazu gestiegen. Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung kann zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktzugangs, einer Reduzierung der Prüfleistungen und einer engeren Einbindung der Arbeitgeber führen. Zahlreiche Aspekte zur Umsetzung und langfristigen Eingliederung der ausländischen Fachkräfte sind aber noch in Klärung.

Triple- und Multiple-Win durch transnationale Skills Partnerships

Mit seinem Fachvortrag zu transnationalen Ausbildungspartnerschaften, den sogenannten Skills Partnerships, fokussierte GOVET-Experte Sepehr Shahin auf bereits existierende Ansätze in der iBBZ. Skills Partnerships haben das Potenzial, Erwerbsmigration fairer und nachhaltiger zu machen und gleichzeitig die Möglichkeiten der Skalierung zu verbessern. Sie sind partnerschaftliche Ansätze, die auf bilateralen Abkommen unter Beteiligung öffentlicher und privater Institutionen beruhen und Nutzeneffekte für alle Beteiligten generieren sollen: Herkunftsländer, Zielländer, Migrierende und im Idealfall auch weitere – im Sinne eines Triple-Win- bzw. Multiple-Win-Ansatzes, der möglichst alle vorhandenen Perspektiven mit berücksichtigt.

Außerdem berücksichtigen Skills Partnerships idealtypisch alle Prozessphasen der Erwerbsmigration, von Rekrutierung und (Vor-)Qualifizierung im Ausland, über Spracherwerb, Visaverfahren bis hin zu Einreise, Wohnraumsuche, Einstieg in Ausbildung und Arbeit sowie Weiterbildung und gegebenenfalls auch Rückkehr ins Heimatland. In der Umsetzung stellen beide Länder Ressourcen bereit (v. a. Knowhow und Finanzmittel) und die Qualifizierung findet arbeitsmarktorientiert im Herkunftsland für das Zielland bzw. Partnerland statt. Skills Partnerships helfen dabei, von einer individuellen und unkoordinierten zu einer gesteuerten, gut vorbereiteten Migration zu kommen. Im Zuge der iBBZ unterstützen deren Akteure im Herkunftsland durch Beratung, Vernetzung und Qualifizierungsprojekte vor Ort. Gestützt wird der Ansatz der Skills Partnerships durch die Leitlinien des Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration der UN aus 2018 sowie durch die Fachkräftestrategie der Bundesregierung und die Allianz für Transformation des Bundeskanzlers.

Praxisbeispiele zur Qualifizierung im Ausland

Wie gestalten sich Projekte und Programme in der Praxis, die iBBZ und Migration kombinieren?

Partnerschaftliche Ansätze für eine entwicklungsorientierte Ausbildungs- und Arbeitsmigration

Das Pilotprojekt der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) „PAM“ (Partnerschaftliche Ansätze für eine entwicklungsorientierte Ausbildungs- und Arbeitsmigration) läuft seit 2019 und bemüht sich um die Etablierung langfristiger Partnerschaften zwischen Deutschland und seinen Partnerländern. Es unterstützt Institutionen und Unternehmen dabei, sich länderübergreifend zu vernetzen und zu engagieren. Ziel ist es, die Menschen in den Herkunftsländern besser auszubilden, sowohl für den lokalen Markt als auch für eine faire Migration. Durch Vernetzung, Beratung und Knowhow-Transfer soll die Erarbeitung von partnerschaftlichen Migrationsmodellen, von denen alle Beteiligten profitieren, erleichtert werden. Aktuell ist PAM in vier Partnerländern (Ecuador, Nigeria, Vietnam und Jordanien) in fünf Branchen (Industriemechanik, Elektronik für Betriebstechnik, Zerspannungsmechanik, Bäckerei-Handwerk und Green Jobs) aktiv. GIZ-Beraterin Maria Losada wies darauf hin, dass es noch viel Unsicherheit bei den Bildungsinstitutionen in den Partnerländern gebe bzgl. der benötigten Kompetenzen. Es brauche mehr Transparenz, Qualitätssicherung und einen Ausbau der Sprachförderung, um die Andockfähigkeit im Ausland zu verbessern.

Solateure aus Ghana

Im Interesse einer globalen nachhaltigen Entwicklung unterstützen Projekte in der iBBZ vielfach die Qualifizierung in umwelttechnischen Zukunftsberufen. So lanciert die AHK Ghana in einem Pilotvorhaben in Kooperation mit dem Senior Expert Service (SES) und Don Bosco die Ausbildung von Elektrikern in Ghana zu Solateur*innen. Ziel ist die Qualifizierung und Gewinnung von potenziellen Fachkräften für den deutschen Arbeitsmarkt. Geschäftsführer der AHK Ghana Burkhardt Hellemann beschrieb den Projektablauf unter Hinweis auf die stetige Begleitung der zukünftigen Fachkräfte: Dieser sieht die fachliche und sprachliche Ausbildung vor mit einem anschließenden begleiteten Praktikum in Deutschland. Nach der Qualifizierung kann entweder eine Anstellung als Fachkraft oder Auszubildende*r bei einem deutschen Unternehmen zustande kommen oder die Rückkehrenden erhalten Unterstützung beim Aufbau einer eigenen Existenz als Solateur*in in Ghana. Die Finanzierung für das Projekt kommt aus dem privaten Sektor: Hauptunterstützer sind die Signal Iduna Versicherung und die Sparkassenstiftung Ghana. Das Projekt ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit heterogener Akteure mit heterogenem Background beim Thema Fachkräftegewinnung und wie ein direkter Bezug zur Wirtschaft in Deutschland hergestellt werden kann.

Pro Recognition und Skills Experts in Ägypten

Nicht selten greifen Projektansätze gleich in mehreren Ländern weltweit. Zwei solcher Projekte sind an der AHK Ägypten angesiedelt: Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Pro Recognition und seit Beginn 2024 das Projekt Skills Experts unter Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die Leiterin der Abteilung „Migration and Development“ an der AHK Ägypten Yasmin Fauzy stellte die beiden ineinandergreifenden Projekte vor: Pro Recognition berät und unterstützt interessierte Fachkräfte in allen Fragen der Anerkennung und vermittelt, wenn nötig, passende Anpassungsqualifizierungen. Ergänzend bietet das Programm Bewerbungs-Workshops und kooperiert zur sprachlichen und landeskundlichen Vorbereitung mit dem Goethe-Institut. Durch Online-Kennenlernveranstaltungen in Kooperation mit regionalen Welcome Centern bringt es außerdem Fachkräfte in oder nach ihren Anerkennungsverfahren mit potentiellen Arbeitgebern in Deutschland zusammen.

In den letzten Jahren hat Ägypten verstärkt in eine praxis- und arbeitsmarktorientierte sowie kompetenzbasierte Berufsausbildung investiert. Es gibt ein entsprechend großes Fachkräftepotenzial, doch zu wenige Stellen auf dem ägyptischen Arbeitsmarkt, weswegen das Interesse an einer Migration nach Deutschland groß ist. Hier soll das Skills Experts Programm anknüpfen. Die AHK Ägypten zielt darauf, einen Pool an geeigneten Kandidat*innen aus den Anerkennungsverfahren und der AHK-Zertifizierung zu erstellen und pilothaft Berufsbildungsstrukturen zur Ausbildung im Kontext der Fachkräfteeinwanderung weiterzuentwickeln.

Die iBBZ auf dem Weg

Im Fachseminar wurde ein hoher Austausch- und Abstimmungsbedarf deutlich: Qualifizierungs- und Vorbereitungsmaßnahmen im Ausland zur Fachkräftegewinnung unter der Prämisse fairer Migration werden in der internationalen Berufsbildungskooperation immer bedeutsamer. Auch in der internationalen Berufsbildungskooperation rücken sie zunehmend in den Fokus. Die Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden aus dem Ausland ist jedoch ein komplexes Unterfangen, für das es bereits einige gute Beispiele, aber insgesamt noch viel Entwicklungspotenzial, gibt. Es erfordert die Bereitschaft zahlreicher Akteure im In- und Ausland, gut und möglichst lange miteinander zusammenzuarbeiten sowie iBBZ und Migration sinnvoll zusammen zu denken. Skills Partnerships haben hierzu ein großes Potenzial. Außerdem kommt dem Aufbau bzw. der Nutzung von Koordinierungs- und Netzwerkstrukturen eine große Bedeutung zu, damit Deutschland weiterhin kohärent und transparent im Ausland auftritt.