Das costa-ricanische Bildungsministerium zu Besuch bei GOVET
17.06.2024
Ausbildungsordnungen sind abstimmungsintensiv. An der Entwicklung und Umsetzung wirken viele Akteur*innen mit. In einer Studienreise nahmen acht Vertreter*innen des Bildungsministeriums aus Costa Rica das Thema unter die Lupe und tauschten sich mit BIBB Kolleg*innen und Unternehmen der Region aus.
GOVET hatte im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) acht Vertreterinnen und Vertreter des costa-ricanischen Bildungsministeriums (Ministerio de Educación Pública) für einen Studienbesuch nach Deutschland eingeladen. Ziel des Studienaufenthalts war es, dass die Teilnehmer*innen das duale System in Deutschland kennen lernen und in einen Fachaustausch mit BIBB Kolleg*innen zum Thema Ausbildungsordnung treten.
Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem costa-ricanischen Bildungsministerium ist uns sehr wichtig. Seit 2016 sind wir im beständigen Austausch und begeistert von den Entwicklungen auf Seite unserer Partner.
Expertise aus dem BIBB
Eine Vielzahl von Kolleg*innen aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gaben wertvolle Einblicke in unterschiedliche Fachbereiche der sogenannten Ordnungsabteilung. Im BIBB befasst sich die Abteilung „Struktur und Ordnung der Berufsbildung“ unter anderem mit der Erstellung und Modernisierung von Ausbildungsordnungen. Gabriele Jordanski ermöglichte einen Einblick in den kürzlich erst neu geordneten Beruf der Industriekauffrau und des Industriekaufmanns, während Anita Milolaza die Berufe des Hotel- und Gaststättengewerbes vorstellte. Dr. Heike Krämer präsentierte das Berufsbild der Mediengestalterin und des Mediengestalters. Außerdem hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit mit Dr. Gert Zinke, den sie bereits im November 2023 in Costa Rica im Rahmen eines umfassenden Workshops zum Thema Ausbildungsordnungen kennengelernt hatten, verbliebene Fragen und Eindrücke zu klären. Im Austausch mit den Kolleg*innen spielten besonders das Ermöglichen von Flexibilität im Rahmen eines Lehrplans eine Rolle, sowie die Einbindung von Wirtschafts- und Sozialpartnern.
Es ist eine außerordentliche Freude und Ehre, unsere Partner aus Costa Rica im BIBB zu empfangen und die Erfolge der engen Zusammenarbeit mit GOVET zu sehen. Der Austausch und die Beratung der letzten Jahre waren durch eine Vielzahl unterschiedlicher Themen geprägt.
Erfahrbare Berufsbildungspraxis
Frank Prokop, Ausbildungsleiter des metallproduzierenden Unternehmens GKN Sinter in Bonn empfing GOVET bereits mehrfach mit anderen Delegationen und gab auch diesmal wieder einen umfassenden Einblick in die betriebliche Perspektive des Ausbildungsgeschehens. Er unterstrich die Bedeutung der dualen Ausbildung für die Sicherung von Fachkräften im Unternehmen und tauschte sich mit den costa-ricanischen Expert*innen zu der flexiblen Gestaltung der Ausbildung aus.
Einen Einblick in die Ausbildung in einem Großunternehmen bekam die Delegation aus Costa Rica bei den Stadtwerken Bonn. Hier wird die duale Berufsausbildung in 27 Ausbildungsberufen im gewerblich-technischen und kaufmännischen Bereich angeboten. Teilzeitmodelle und duale Studiengänge runden das Angebot ab. Die Gäste aus Costa Rica zeigten sich sehr interessiert an der Rolle und den Aufgaben der hauptamtlichen Ausbilder*innen und ihrer Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbeauftragten. Besonders beeindruckt waren sie vom professionellen Ausbildungsmarketing, das sich positiv auf die Bewerbungszahlen für die Ausbildungsplätze und auch langfristig auf den Verbleib der ehemaligen Auszubildenden im Unternehmen auswirkt.
Der Besuch bei der Aktion Mensch e.V. zeigte, wie wichtig es ist, Berufsausbildung auch inklusiv zu denken und zu leben. Als größte private Förderorganisation in Deutschland unterstützt die Aktion Mensch soziale Projekte für Menschen mit und ohne Behinderung. Seit 2011 wird die Ausbildung in kaufmännischen und IT-Berufen angeboten. Drei Auszubildende bereiteten den Besuchstermin der costa-ricanischen Delegation vor, übernahmen Teile der Präsentation und standen gemeinsam mit ihren Ausbilderinnen für Fragen zur Verfügung.
Neben dem betrieblichen Teil der dualen Berufsausbildung, wurde am Heinrich-Hertz-Berufskolleg in Bonn deutlich, wie viele Möglichkeiten es für junge Menschen gibt. Neben der klassischen dualen Berufsbildung bieten die meisten Berufsschulen oder Kollegs auch schulische Ausbildungen an, die nach Landesordnung geregelt sind. Auch bieten sie die Möglichkeit das Fachabitur oder Abitur zu absolvieren. Integrationsklassen oder ausbildungsbegleitende Abiturklassen runden das Angebot ab.
Das Engagement der Kammern wurde mit einem Besuch in der Gemeinschaftslehrwerkstatt (GLW) der IHK Bonn-Rhein-Sieg in Siegburg deutlich. Die GLW bietet als überbetriebliche Lehrstätte Fortbildungskurse an, die die Unternehmen in der Ausbildung entlasten sollen – ein weiteres Instrument im deutschen System, um Ausbildung zu ermöglichen und qualitativ hochwertig durchzuführen. Fr. Schare, Referentin für Berufsbildung und Fachkräftesicherung der IHK, und Thomas Franke, Ausbildungsleiter in der GLW, boten den Teilnehmenden auch einen umfassenden Einblick in den Ablauf und Inhalte von Prüfungen.
Alles rund um das Thema Prüfungen steht auch im Fokus des BMBF-geförderten Projektes CoRiCert, dessen Projektverantwortliche mit zwei Experten für einen halbtägigen Austausch angereist waren. Im interaktiven Austausch mit den Teilnehmenden wurden die Möglichkeiten und Instrumente für praktische Prüfungen diskutiert und eine Erprobung der Instrumente bis Projektende vereinbart.
Für mich und mein Team war der Studienbesuch eine einmalige Gelegenheit, das duale Ausbildungssystem Deutschlands kennenzulernen und - vor allem hinsichtlich Ausbildungsordnungen, aber auch für die schulische und betriebliche Umsetzung - Inspirationen für unser eigenes duales Modell mitzunehmen.
Ein weiteres Highlight des Studienbesuches war die Durchführung des VET Chain Workshops mit den Teilnehmenden. Anhand einer exemplarischen Lieferkette diskutieren die Teilnehmenden Auswirkungen und Herausforderungen der Nachhaltigkeit auf die Berufsbildung. GOVET hat VET Chain als Workshop Tool für die internationale Beratung entwickelt. Mit der Gruppe aus Costa Rica wurde die Lieferkette eines Herzkatheters, der in Costa Rica produziert wird, unter die Lupe genommen. Im Ergebnis zeigte sich, dass zwar schon viele Aspekte der Nachhaltigkeit in den Ausbildungsordnungen verankert sind, aber die betriebliche Seite noch ein dunkler Fleck ist und es an praktischen Umsetzungsleitlinien für nachhaltiges Handeln und Ausbilden fehlt.
Der Abschlussworkshop bot der Gruppe eine gute Gelegenheit, die Erfahrungen und Termine zu reflektieren. Deutlich wurde, dass die Teilnehmenden insbesondere für die Umsetzungsebene und den daraus resultierenden Anforderungen an Ausbildungsordnungen viele neue Erkenntnisse mitgenommen haben.
Hintergrund
Deutschland und Costa Rica kooperieren seit 2016 in der Berufsbildung auf Grundlage einer gemeinsamen Absichtserklärung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem costa-ricanischen Bildungsministerium (MEP). Das BMBF begleitet in einem „Beobachtungsstatus“ die „Kommission zur Beratung und Förderung der dualen Berufsbildung“ (CAP). Diese setzt sich aus Vertretern staatlicher Ministerien, Institutionen, des Privatsektors und Sozialpartnern zusammen und trifft politisch-strategische Entscheidungen zu Fragen der Ausgestaltung, Finanzierung und institutionellen wie rechtlichen Konsolidierung dualer Berufsbildung. Darüber hinaus begleitet und berät das BMBF über GOVET das costa-ricanische Bildungsministerium in der operativen Umsetzung der Educación Dual.
Das BMBF hat durch Dialog, Beratung, Delegationsreisen und Expertenberatungen seit 2016 dazu beigetragen, dass 2018 in Costa Rica ein Dekret zur Einführung der dualen Ausbildung erlassen wurde. Am 12. August 2019 verabschiedete das Parlament das Gesetz zur dualen Berufsbildung, das einen Monat später rechtskräftig wurde. Um die Reformen des Partnerlandes weiter zu unterstützten, werden die Berufsbildungsforschung sowie die Beteiligung der Wirtschafts- und Sozialpartner in der beruflichen Bildung in Costa Rica aktuell durch zwei weitere BMBF-Projekte gestärkt (CoRiVET und CoRiCert).