Costa Rica will mehr Bildungseinrichtungen und Unternehmen von der dualen Ausbildung überzeugen
Studienbesuch in Deutschland liefert wertvolle Impulse
Wie kann Costa Rica mehr Unternehmen für die duale Ausbildung gewinnen? Diese Frage stand im Zentrum einer Studienreise. Elf Vertreter*innen von Unternehmen, privaten und öffentlichen Bildungseinrichtungen aus Costa Rica informierten sich zum dualen Ausbildungssystem. Welche Erkenntnisse nehmen sie mit?
Häufig beginnen Neuerungen in Bildungssystemen mit Veränderungen in der Gesetzgebung und lassen sich zurückführen auf den Impuls der staatlichen Akteure. So war es auch in Costa Rica. Duale Ausbildung ist in dem Land seit knapp fünf Jahren im Gesetz verankert und die ersten Ausbildungsprogramme starteten vor zweieinhalb Jahren in die Umsetzung. Damit die duale Ausbildung nun von Wirtschafts- und Sozialpartnern mitgetragen wird, ist es wichtig, ihre Stimme miteinzubeziehen und gemeinsam die duale Ausbildung zu gestalten. Denn nur wer von dualer Ausbildung überzeugt ist, wird auch Ausbildungsplätze anbieten. Daher hat GOVET im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) elf Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Bildung und Gewerkschaften für einen Studienbesuch nach Deutschland eingeladen. Ziel des Studienaufenthalts war es, dass die Teilnehmer*innen das duale System in Deutschland kennen lernen und durch diesen Impuls auch die Implementierung in Costa Rica vorangetrieben wird.
Bei der Begrüßung hoben Alexander Hochradel, Referent Abteilung 222 des BMBF und Birgit Thomann, Abteilungsleiterin Internationales im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), die Vielschichtigkeit der bilateralen Kooperation zwischen Costa Rica und Deutschland in der Berufsbildung hervor. Die schnelle Umsetzung und Implementierung der dualen Ausbildung in Costa Rica sei herausragend und verdiene höchste Anerkennung. Im Rahmen der Kooperation unterstütze man Costa Rica weiter bei den aufkommenden Fragen und Herausforderungen, unterstrich Alexander Hochradel, BMBF.
Antonio Lehmann Gutiérrez, Botschafter der Republik Costa-Rica, betonte, dass duale Ausbildung Teil der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands sei und begrüßte die Schritte seines Landes in der Umsetzung der dualen Ausbildung.
Julia Olesen, GOVET, erläuterte in ihrem Vortrag zum dualen Ausbildungssystem wichtige Unterschiede zum costa-ricanischen System. So schließen die Auszubildenden z. B. keinen Vertrag mit den Unternehmen und erhalten statt einer Ausbildungsvergütung ein Stipendium. Bei der Kosten-und-Nutzen-Betrachtung mit Dr. Felix Wenzelmann, BIBB, wurde deutlich, wie wichtig die Erhebung solcher Zahlen und Fakten ist, um in der Sprache der Unternehmen über Vorteile und Kosten zu sprechen. Das BIBB erhebt alle fünf Jahre umfangreiche Daten und veröffentlicht regelmäßig zu dem Thema. (Zum Thema Kosten und Nutzen hat GOVET eine Power Point Präsentation, siehe dazu die rechte Spalte)
Dr. Ralf Hermann, GOVET
„In den letzten Jahren haben wir viele Delegationen aus Costa Rica zu Besuch gehabt. Der Austausch war immer geprägt von hohem Interesse, Vertrauen in die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Costa Rica und einer wertschätzenden Atmosphäre.“
Im weiteren Verlauf lernten die Teilnehmenden die Lernorte und Akteur*innen im dualen Ausbildungssystem kennen. In der IHK Bonn-Rhein-Sieg sprach die Gruppe mit Teresa Schare, die das Projekt „Ausbildungsbotschafter*innen“ koordiniert. Sie stellt die umfangreichen Unterstützungsmaßnahmen vor, die die Kammern den Unternehmen in der dualen Ausbildung bieten. Mit dem Format „Ausbildungsbotschafter*innen“ unterstützen die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen die schulische Berufsorientierung, denn junge Auszubildende gehen in allgemeinbildende Schulen und berichten den Schüler*innen aus ihrem Ausbildungsalltag. Das Projekt begeisterte die Gruppe, da so authentisch und auf Augenhöhe Werbung für die duale Berufsbildung gemacht werden könne. Gleichwohl sprach Teresa Schare auch über die Herausforderungen: der Fachkräftemangel und hohe Anteil an unbesetzten Ausbildungsstellen bereiteten den Unternehmen der Region Sorgen.
Eine zusätzliche Perspektive auf die Berufsbildung bot Thomas Giessler, Referent für internationale Berufsbildungspolitik im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Er stellte heraus, dass es in der dualen Berufsbildung gemeinsame Interessen von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat gebe, die die Basis der konstruktiven Zusammenarbeit unter den Akteuren auf den verschiedenen Ebenen ermögliche. So sind alle Akteure gleichberechtigt in Themen der Ordnungsarbeit, Prüfung und Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems eingebunden.
Im Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef gewann die Delegation Einblick in die berufsschulische Seite der Ausbildung und konnte sich davon überzeugen, wie mit Engagement, Professionalität und einem umfassenden Verständnis des Lehrer*innenberufs junge Menschen auf dem Weg in den Beruf begleitet werden. Schulleiter Thomas Heußner und seine Kollegin Alexa Sauer, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, betonten wie wichtig auch ausreichend Zeit zur Vor- und Nachbereitung der Unterrichtseinheiten ist – ein Thema, das Lehrer*innen in Costa Rica häufig „nebenher“ leisten müssen.
In den Studienbesuch gliederten sich auch vier Unternehmensbesuche ein, in unterschiedlichen Branchen und mit verschiedenen Schwerpunkten in der Ausbildung.
Bei dem Familienunternehmen Gilgen’s Bäckerei und Konditorei in Hennef erläuterten die Unternehmensinhaber und der zuständige Ausbilder und Bäckermeister Thorsten Braun die Unternehmensphilosophie und wie wichtig Ausbildung im eigenen Betrieb sei. Nur so sei das Wachstum der letzten Jahrzehnte möglich gewesen und nur so sichere man die Zukunft des Unternehmens.
Im Althoff Schlosshotel Bensberg drückten sich Jörg Stricker, General Manager, und Svenja Steidl, Cluster Director of Human Resources, ganz ähnlich aus: die Althoff Gruppe werde in den nächsten Jahren zwei neue Häuser der Luxuskategorie in Köln und Frankfurt eröffnen, wofür zusätzlich zum eigenen Bedarf weitere Fachkräfte benötigt werden. Gerade in der Hotellerie und Gastronomie sei es wichtig neben dem oftmals hektischen Alltagsgeschäft gute und verlässliche Strukturen für die Ausbildung zu etablieren.
Catalina Blanco Araya, Koordinatorin der Arbeitsgruppe der costa-ricanischen Berufsbildungskommission
„Bei meinem zweiten Studienbesuch in Deutschland konnte ich wieder wertvolle Impulse für die Umsetzung der dualen Berufsbildung in Costa Rica mitnehmen. Ob nun im Bereich der gelebten Unternehmenskultur für die duale Berufsbildung, bei Ausbildungspartnerschaften zwischen KMU oder im Thema Kosten und Nutzen. Wichtig ist auch, dass mehr Bildungseinrichtungen und Unternehmen in Costa Rica von der dualen Ausbildung überzeugt werden, denn ihre Vorteile liegen klar auf der Hand – sowohl in Deutschland als auch in Costa Rica! Dafür sind solche Studienreisen ein entscheidender Faktor, weil sie ermöglichen, dass die Teilnehmenden vom dualen Erfolgsmodell Deutschlands lernen und mit neuen Ideen und Best Practice Beispielen nach Hause zurückkehren, wo sie das dortige Bildungssystem wiederum bereichern.“
Einen Einblick darein, wie solche Strukturen aussehen können, gewährte auch Lisa Passmann, Ausbildungsleiterin beim Unternehmen Haribo in Grafschaft. Ein detaillierter Einsatzplan, der nach dem bundesweit einheitlichen Ausbildungsrahmenplan für jede*n Auszubildende*n individuell erstellt wird, stellt sicher, dass die Azubis alle relevanten Stationen im Unternehmen durchlaufen. Nach jeder Station finden umfangreiche Feedback- und Evaluationsgespräche statt, unterstützt durch Fragebögen und weitere Instrumente.
Im Industrieunternehmen Deutz AG konnten die Delegationsteilnehmenden die unternehmenseigene Lehrwerkstatt in Köln Porz besuchen, an der Grundfertigkeiten in Metall, Elektronik und Schweißen vermittelt werden. Die Ausbildungskoordinatoren Frank Opitz und Giuseppe Nicotra verdeutlichten, dass die Unternehmen nicht nur viel Geld, sondern auch weiteres Engagement leisten, um Azubis zu gewinnen und als Fachkräfte für morgen halten zu können – und dies offenbar sehr erfolgreich, bei einer fast vollständigen Übernahmerate der Auszubildenden.
Im Abschlussworkshop reflektierten die Teilnehmenden zu den Vorteilen der dualen Berufsbildung, und wie diese auch in Costa Rica noch stärker in den Vordergrund gestellt werden können. Alle Teilnehmenden waren sichtlich beeindruckt und inspiriert für ihre Organisationen und Unternehmen die Umsetzung der dualen Ausbildung voranzubringen, und verstehen sich ihrerseits nun als Botschafter*innen für die duale Ausbildung in Costa Rica.
Hintergrund der Zusammenarbeit mit Costa Rica
Deutschland und Costa Rica kooperieren seit 2016 in der Berufsbildung auf Grundlage einer gemeinsamen Absichtserklärung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem costa-ricanischen Bildungsministerium (MEP). Das BMBF begleitet in einem „Beobachtungsstatus“ die „Kommission zur Beratung und Förderung der dualen Berufsbildung“ (CAP). Diese setzt sich aus Vertretern staatlicher Ministerien, Institutionen, des Privatsektors und Sozialpartnern zusammen und trifft politisch-strategische Entscheidungen zu Fragen der Ausgestaltung, Finanzierung und institutionellen wie rechtlichen Konsolidierung dualer Berufsbildung. Darüber hinaus begleitet und berät das BMBF über GOVET das costa-ricanische Bildungsministerium in der operativen Umsetzung der Educación Dual.
Das BMBF hat durch Dialog, Beratung, Delegationsreisen und Expertenberatungen seit 2016 dazu beigetragen, dass 2019 in Costa Rica ein Gesetz zur dualen Berufsbildung verabschiedet wurde.
Ein Dekret zu Einführung der dualen Ausbildung erlassen wurde. Am 12. August 2019 verabschiedete das Parlament das Gesetz zur dualen Berufsbildung, das einen Monat später rechtskräftig wurde. Um die Reformen des Partnerlandes weiter zu unterstützen, werden die Berufsbildungsforschung sowie die Beteiligung der Wirtschafts- und Sozialpartner in der beruflichen Bildung in Costa Rica aktuell durch zwei weitere BMBF-Projekte gestärkt (CoRiVET und CoRiCert).