Studienreise aus Südafrika nach Norddeutschland: Innovation im Lehren und Lernen im Mittelpunkt des Interesses
Welche Qualitätsanforderungen gelten für das Lehrpersonal in der Berufsbildung? Wie muss es unterstützt werden, um sie zu erfüllen? Welche Akteure sollten mitwirken, wenn Ausbildungen reformiert werden? Zu diesen Themen reiste GOVET mit einer Delegation aus Südafrika nach Bremen und Hamburg.

„Wenn wir uns auf diesen Wandel einlassen, wird niemand zurückgelassen“, betont Thivhudziwi Vele, Direktor für TVET Curriculum Development and Support im Department of Higher Education and Training (DHET) und Leiter der südafrikanischen Delegation, die sich auf einer Studienreise nach Norddeutschland mit der Ausbildung von Berufsschullehrern und der Entwicklung berufsbezogener Lehrpläne befasste. Die Worte von Thivhudziwi Vele unterstreichen das Engagement für die Stärkung der beruflichen Bildung als oberste politische Priorität, um die Jugendarbeitslosigkeit von über 60 % im Land zu bekämpfen. Deutschland unterstützt diese Agenda durch konzertierte Maßnahmen, darunter die bilaterale Zusammenarbeit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem DHET und deren Schwerpunkt auf der Entwicklung von Lehrkräften und Lehrplänen. Eine bilaterale Expertengruppe zu diesen Themen wird von GOVET koordiniert.

Der Studienbesuch im April 2025 beleuchtete die Qualität der Lehrerausbildung, ihre pädagogischen und didaktischen Ziele, die Methoden des Lehrens und Lernens sowie die Bedeutung der Praxisintegration in der Lehrerausbildung. Ein wichtiger Aspekt der Studienreise war die Einbeziehung einer breiten Basis von Interessenvertretern. Sie ermöglichte, unterschiedliche Perspektiven, Interessen und Synergien in einem kooperativen Ansatz zu reflektieren. Die südafrikanische Delegation bestand dementsprechend aus Vertretern von Lehrerbildungseinrichtungen der Universitäten, der Berufsschulen, dem für die die Entwicklung von Ausbildungsstandard zuständigen Rat, sektoralen Ausbildungsbehörden, die Berufsschulen und Unternehmen vermitteln sollen, sowie Forschungseinrichtungen der Berufsbildung.
Innovation beim Lehren und Lernen
Die beiden Hansestädte Bremen und Hamburg boten sich als hervorragende Orte für die angestrebten Studienziele an. Prof. Michael Gessler, Abteilungsleiter am Institut für Technologie und Bildung (ITB) der Universität Bremen, und Prof. Waldemar Bauer (Universität Erfurt), beide Mitglieder der bilateralen Expertengruppe, veranstalteten einen Workshop zu Methoden der Lehrerausbildung und zu den verschiedenen Wegen, die ins Berufsschullehramt führen. Die südafrikanischen Partner berichteten über den aktuellen Stand der Überarbeitung bestehender und der Einführung neuer Curricula in der Lehrerausbildung, wie dem Advanced Diploma und dem Postgraduate Diploma. Dies führte zu lebhaften Diskussionen über das Profil und die Standards von Berufsbildungslehrern in Südafrika.

Mit Blick auf die Zielorientierung und die Methoden des Lehrens erlebte die Gruppe die konsequente Praxisintegration selbst, etwa bei der Erprobung von Lern- und Arbeitsaufträgen in einer Autowerkstatt des ITB, bei der Besichtigung des Ausbildungsbetriebs Mercedes-Benz Bremen sowie bei den Besuchen im Technischen Bildungszentrum Mitte (TBZ) und in Ausbildungseinrichtungen der Handwerkskammer Bremen. Das ITB teilte zudem seine Expertise bei der Integration von Künstlicher Intelligenz in der Lehrerausbildung. Sie ist nicht zuletzt im EU-geförderten Projekt AI Pioneers aufgebaut worden, an dem auch das BIBB beteiligt ist.
Der Hamburger Teil der Studienreise gab wertvolle Einblicke in die Rollen und die Zusammenarbeit der Akteure in der Berufsbildung. Der Stadtstaat hat ein einzigartiges Governance-Modell entwickelt, indem er das Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) als eigenständigen Landesbetrieb der Behörde für Schule und Berufsbildung zur Steuerung und Unterstützung seiner 30 berufsbildenden Schulen einrichtete.

Die südafrikanische Delegation wurde von der Geschäftsführerin des HIBB, Dr. Sandra Garbade, und ihrem Stellvertreter OIaf Albrecht begrüßt. Zwei der vom HIBB geführten Schulen öffneten auf dem Campus Wilhelmsburg ihre Türen für die Gruppe. Der deutsche Schulpreisträger 2023 ITECH (Berufliche Schule 14) beeindruckt durch seine strategischen, konsequent umgesetzten Reformen in Richtung neuer Lehr-/Lernarrangements zwischen Lehrenden und Lernenden. Die Kernprinzipien der Schulreform – Arbeiten entlang von Lernfeldern, in Projektszenarien, mit multidisziplinären Teams und bei weitestgehender Lernerautonomie – finden in der alltäglichen Praxis der Schule ihre Umsetzung.
Ein Haus weiter, in der Beruflichen Schule für Anlagen- und Bautechnik (BS 13), informierte sich die Gruppe über den Wandel hin zu nachhaltigen Lösungen in den entsprechenden Ausbildungsangeboten, die auch in Begegnungen mit Lehrern und Auszubildenden im Unterricht und in Workshops erlebbar wurden. Die wichtigsten Erkenntnisse aus beiden Schulen: Es gibt keine Arbeitsteilung der Lernorte, in der Schulen für Theorie und Betriebe für Praxis stehen. Die Schulen müssen vielmehr die praktische Ausbildung selbst in ihre Lehrangebote integrieren – und sie tun es.
Den Abschluss der Tour bildete der Besuch der jungen Beruflichen Hochschule Hamburg (BHH), die für ein neues Modell der Lernortkooperation steht. Hier arbeiten sowohl die Universität als auch die berufsbildenden Schulen mit lokalen Unternehmen in einer trialen Anordnung zusammen und können damit sowohl berufliche als auch akademische Abschlüsse anbieten. Dieser innovative Ansatz löste in der südafrikanischen Multi-Stakeholder-Gruppe Diskussionen über die Rollen und Kompetenzen von Institutionen in der Wertschöpfungskette der beruflichen Bildung aus. Und obwohl es bei diesen Begegnungen nie eine Copy-Paste-Option gibt, regte der Besuch Überlegungen darüber an, wie die Beobachtungen aus Norddeutschland in genuin südafrikanische Adaptionen überführt werden könnten.
Wie weiter
Die südafrikanischen Partner bezeichneten die Lernergebnisse des Studienbesuchs als herausragend und betonten die Beständigkeit der kooperativen Lernort-Settings, das Vertrauen in die Auszubildenden und Lernenden, die Ausrichtung des Lernens auf umfassende Handlungskompetenz und die praxisnahe Methodik auf dem Weg dorthin.
Kann dies nun kontinuierlich in einem produktiven Diskurs und in Entwicklungsschritten fortgeführt werden? Angesichts der Tatsache, dass viele der beteiligten Partner sich in die künftige Zusammenarbeit einbringen wollen und das DHET dafür das Label bilaterales „Forum“ geprägt hat, gibt es dafür gute Chancen. Erste konkrete Aufgabe wird in der nächsten Phase der Kooperation die Erarbeitung eines „Berufsschullehrerprofils“ sein.
Hintergrund der Zusammenarbeit
BMBF und DHET pflegen seit mehr als einem Jahrzehnt die Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung. Die Schwerpunkte der bilateralen Kooperation liegen in der Stärkung des Lehrpersonals und der Entwicklung von Standards für die berufliche Bildung. Ein besonderer Akzent liegt dabei auf Kompetenzen für die digitale und nachhaltige Transformation von Arbeit und Gesellschaft. Die 2020 gegründete und von GOVET koordinierte bilaterale Expertengruppe für Lehrpersonal- und Curriculumentwicklung ist ein Kernstück der Zusammenarbeit und offen für die Beteiligung weiterer Partner in einem erweiterten Expertennetzwerk zu Themen von beiderseitigem Interesse.