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Erfolg ohne Grenzen: Französische Gäste auf der Berufsinfomesse Offenburg

GOVET informierte zur dualen Berufsausbildung

Dass eine wirtschaftlich prosperierende Region wie Baden-Württemberg den Nachwuchs- und Fachkräftemangel besonders schnell und heftig zu spüren bekommt, überrascht kaum. Die Not hat Arbeitgeber und Arbeitsagenturen des Ortenaukreises erfinderisch gemacht – sie setzen nun auf den Nachbarn Frankreich.

Auf der Berufsinfomesse Offenburg, der Bildungsmesse Nr. 1 in Süddeutschland, wie die Sonderbeilage der Mittelbadischen Presse sie für den 20./21. April annoncierte, präsentierten 365 Aussteller rund 2500 Angebote zum Thema „Schule, Ausbildung, Weiterbildung und Studium“. Vertreten waren nicht nur Betriebe, Innungen, Kammern, Verbände, Schulen und etwa das Landratsamt Offenburg, sondern auch die Agentur für Arbeit des Ortenaukreises mit Beraterinnen und Beratern der Standorte Offenburg, Kehl und Lahr. Der Kreis, der eine Arbeitslosenquote von aktuell lediglich 3,1 % zu verzeichnen hat, sucht mit Hochdruck Nachwuchskräfte für seine in diesem Jahr zu vergebenden Ausbildungsplätze, nachdem Ende letzten Jahres mehr als 2.000 Ausbildungsstellen nicht hatten besetzt werden können.

Im Nachbarland Frankreich dagegen bewegt sich die Jugendarbeitslosenquote noch um 21 %, und so liegt es nahe, bei der Suche nach Auszubildenden den Blick auch über die Grenze schweifen zu lassen. Auf Einladung der Arbeitsagentur Offenburg kamen so ca. 40 französische Multiplikatoren – vor allem Lehr- und Beratungskräfte aus der Region Grand-Est (Zusammenlegung der Regionen Champagne-Ardenne, Elsass und Lothringen) – und informierten sich über die Möglichkeiten des deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarktes. In der Veranstaltung, die den Titel „Réussir sans frontière – Erfolg ohne Grenzen“ trug und die zugleich als Fortbildungsmaßnahme der Région Grand-Est angeboten wurde, erfuhren die französischen Gäste Einzelheiten über den Arbeitsmarkt der Ortenau. Dazu gehörten sowohl Informationen zu Versicherungsfragen, Familienleistungen und Rentenansprüchen als auch solche zum steuerlichen Status von Grenzgängern, zum Service der grenzüberschreitenden Arbeitsvermittlung und zu den Chancen, die der Ausbildungsmarkt jungen Bewerberinnen und Bewerbern aus der französischen Grenzregion zu bieten hat.

GOVET beteiligte sich mit einem Vortrag zum rechtlichen Rahmen und der Finanzierung des deutschen Berufsbildungssystems und machte auf die Vorteile der dualen Berufsausbildung aufmerksam: Dies sind im Vergleich zum französischen System besonders die streng an den Erfordernissen der Wirtschaft orientierte und praxisbasierte Ausbildung, die eine hohe Garantie für Beschäftigungsfähigkeit darstellt, aber auch die Durchlässigkeit des Systems, die Karrieren bis in höchste Ämter hinauf oder auch Laufbahnwechsel ermöglicht. Um die Attraktivität darüber hinaus zu steigern, bietet die Arbeitsagentur französischen Interessenten Bewerbungstrainings, Sprachkurse und die Vermittlung von Schnupperpraktika in den Ferien an. Ein besonders interessantes Modell gibt es darüber hinaus seit 2013 im Rahmen des EURES-T-Programms: Absolvierung des praktischen Ausbildungsteils im Nachbarland, Besuch der Berufsschule und Abschlussprüfung im Heimatland. Mit dieser Angebotspalette sollte dem Erfolg eines grenzüberschreitenden Ausbildungsmarkts nichts mehr im Wege stehen.

Im Ortenaukreis werden im Übrigen nicht nur junge Leute mit besonderer Neigung zu gewerblich-technischen und IT-Berufen gesucht, sondern auch gerade solche, die sich für das Handwerk begeistern können. Wie Andreas Kindle von der Schreinerei Kindle GmbH berichtet, einem Familienbetrieb, der in dritter Generation Möbel nach individuellen Kundenwünschen herstellt, sind Markt und Nachfrage da, doch die Firma erhält ca. 95 % weniger Bewerbungen als noch vor einigen Jahren. Auch hier macht sich der negative Trend weg vom Handwerk bemerkbar, obwohl es laut Andreas Kindle, einem der beiden Geschäftsführer des erfolgreichen Unternehmens, „Arbeit ohne Ende“ gibt. Zwar nimmt der Betrieb immer wieder Flüchtlinge als Praktikanten auf, für die Ausbildung kommen sie jedoch auf Grund fehlender Sprachkompetenzen zumeist nicht in Frage.

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Eine andere Branche, die seit einiger Zeit ebenfalls mit sinkenden Bewerberzahlen zu kämpfen hat, ist die Gastronomie. Im FHG e.V., dem Verein der Förderer der in der Hotellerie und Gastronomie Beschäftigten und Auszubildenden, haben sich die besten Hotels und Restaurants ganz Deutschlands zusammengeschlossen und sich für besonders engagierte Jugendliche ein besonderes Ausbildungsmodell einfallen lassen: Hier wird Bewerberinnen und Bewerbern mit (Fach-) Abitur nach erfolgreichem Abschluss einer Ausbildung zu Restaurantfachkräften oder Köchen ein Studienplatz an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) garantiert, wo sie im Rahmen eines Bachelor- und Masterstudiengangs in Betriebswirtschaftslehre zusätzlich Management- und Marketing-Know-how erwerben und obendrein die Ausbildereignungsprüfung ablegen können. Bewerber(innen) mit mittlerem Bildungsabschluss erhalten einen IHK-Gesellenbrief und haben die Chance, durch Zusatzunterricht die Fachhochschulreife zu erlangen. Uta Schlagenhauf, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, weist zudem auf eine weitere Besonderheit hin: Bei Reduktion der üblichen allgemeinbildenden Fächer bietet sich den Auszubildenden die Möglichkeit, eine zweite Fremdsprache zu erlernen oder zu vertiefen.

Auch der Gesundheitssektor gehört in Deutschland bekanntlich zu den Branchen, die starken Nachwuchs- und Fachkräftemangel zu beklagen haben, und auch hier setzt man auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Dass das Interesse dabei nicht nur von deutscher Seite kommt, sondern auch von französischer, das zeigte die Teilnahme der Association Régionale pour l’Apprentissage dans le secteur Sanitaire, Social et Médico-social, eines elsässischen Ausbildungszentrums für medizinische und soziale Berufe. Sowohl das duale System selbst weckte die Aufmerksamkeit als auch die Möglichkeit, französische Praktikantinnen und Praktikanten in deutschen Betrieben der Nachbarregion über den eigenen Tellerrand schauen zu lassen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich ein grenzüberschreitender Ausbildungs-und Arbeitsmarkt zu einem klassischen Win-win-Modell entwickeln kann.