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Begegnung mit einem besonderen Land – Reiner Söllner über die Erfahrung einer Study Tour im Rahmen des Deutsch-Israelischen Programms

Lernen und vernetzen lautet das Motto der Study Tours – ein Angebot für Expert*innen, das den Austausch über aktuelle Entwicklungen in der Berufsbildung fördert. Die Study Tours bieten die Möglichkeit, Best-Practice-Beispiele im jeweils anderen Land kennenzulernen und Netzwerke zu bilden.

Reiner Söllner ist Ausbildungsleiter bei der RHI Didier Werke AG im oberfränkischen Marktredwitz. Mitglied des Prüfungsausschusses bei der Industrie- und Handelskammer und stellvertretender Vorsitzender im Prüfungsbezirk.

Herr Söllner, Sie haben im April 2016 an der zehntägigen Study Tour teilgenommen. Wie kam es dazu?
Ich organisiere seit zehn Jahren Auslandsaufenthalte für unsere Auszubildenden. Deshalb schaue ich auch regelmäßig auf die Website beim BIBB. Dort habe ich das Deutsch-Israelische Programm entdeckt, das mich dann nicht mehr losgelassen hat. Zum einen, weil ich mich sehr für die internationale Bildungspolitik interessiere, zum anderen, weil ich selbst gerne Neues entdecke und mich Israel als Land sehr gereizt hat.

Schwerpunktthema der Tour war das „Prüfungswesen in der Berufsbildung Israels“. Warum war das für Sie spannend?
Das war interessant für mich, da ich ja selbst in Prüfungsgremien sitze. Mich hat vor allem die israelische Berufsausbildung im technischen Bereich interessiert – auch die Frage, wie dort Kenntnisse und Fertigkeiten abgefragt werden. Ich stelle immer wieder fest, dass wir in Deutschland sehr theorieorientiert sind, Praxisaspekte werden hier ein wenig vernachlässigt.

Welche Unterschiede haben Sie feststellen können?
Grundsätzlich war ich überrascht, dass das Problem Fachkräftemangel auch in Israel vorhanden ist. So wird die akademische Ausbildung dort weit höher bewertet als die Berufsbildung. Zudem gibt es in Israel kein duales System, wie wir es kennen. Von Seiten der Unternehmen besteht weniger Interesse, junge Leute auszubilden, es fehlt auch an der Koordinierung zwischen Wirtschaft und Schule. Sehr gut gefallen mir hingegen die Zwischenprüfungen, die zu einem Zertifikat führen. Diese werden zu Ausbildungsabschnitten verliehen, die jeweils einem Lerninhalt entsprechen. Das Ganze ist ein modularer Ansatz, der aus meiner Sicht gut zum Ziel der Europäischen Kommission passt, ein einheitliches Berufsbildungssystem zu schaffen. Einzelne, auf die jeweiligen Lerninhalte bezogene Zertifikate scheinen mir dazu sinnvoller als die herkömmliche Abschlussprüfung, zumal sie auch weit mehr Praxisbezug haben.

Wie laufen die Prüfungen in Israel ab?
In Israel stehen Technologien hoch im Kurs, beispielsweise die Online-Kommunikation. Sie können dort Prüfungen bereits online oder am Handy durchführen, da ist Deutschland noch ziemlich „hinterher“, gerade in der Berufsbildung. Die Erfahrungen mit den Online-Prüfungen sind äußerst positiv, auch unter interkulturellen Aspekten. In Israel leben und lernen Juden, Araber, Drusen und Beduinen, die alle eine Ausbildung durchlaufen. Mit den Online-Portalen wird es möglich, die jeweiligen Sprachen einzubringen und so das Prozedere zu erleichtern.

Das Credo der Study Tours lautet „Lernen und vernetzen“. Wie stand bzw. steht es um den Aspekt der Vernetzung?
Wenige Wochen nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich mit einem Mitarbeiter des israelischen Wirtschaftsministeriums korrespondiert. Es ging darum, welche Qualifikationen Prüfer*innen und Ausbilder*innen in Deutschland haben müssen. Hintergrund ist, dass von israelischer Seite ein großes Interesse am dualen System besteht. Es gibt also viele Themen, zu denen wir uns auch über die Tour hinaus austauschen können, um voneinander zu lernen.

Haben Sie Dinge übernommen für Ihre Arbeit als Ausbilder bei RHI?
Übernehmen musste ich eigentlich nichts, weil mich die Study Tour in meinem Denken bestärkt hat. Ich hatte das Gefühl, dass viele Israelis ihren Beruf „on the job“ lernen. Das hat mir gefallen, weil ich auch nicht so viel Wert auf einzelne Noten lege. Mir ist es vielmehr wichtig, bei jedem Auszubildenden zu schauen, wo er oder sie praktische Stärken und Schwächen hat, um entsprechend zu fördern und zu unterstützen.

Welche Aspekte haben Sie neben den fachlichen beschäftigt?
Ich muss zugeben, dass ich anfangs ein wenig Bedenken hatte. Israel ist immer verbunden mit der Gefahr von Anschlägen, einer unruhigen und instabilen politischen Situation, Spannungen zwischen Juden und Palästinensern. Man fragt sich im Vorfeld einer solchen Reise dann schon: Ist das überhaupt ein sicheres Land? Als ich dann in Tel Aviv ankam, war es einfach überwältigend, wie wir dort aufgenommen wurden. Wie nett und herzlich die Bevölkerung war und wie gut gesinnt den Deutschen gegenüber. Das ist ja nicht selbstverständlich. Es hat mir wieder einmal deutlich gemacht, dass man sich selbst ein Urteil bilden und den Menschen offen begegnen sollte. Leider gibt es ja in Deutschland immer noch viele antisemitische Strömungen.

Wie hat sich Ihr Bild von Israel durch den Aufenthalt verändert?
Es hat sich komplett verändert. Ich kam nach Hause und habe meiner Frau vorgeschwärmt: Wir müssen da nächstes Jahr unbedingt noch einmal gemeinsam hinfahren. Israel ist wirklich ein besonderes Land, auch um Urlaub zu machen.

Wie lief die Annäherung an Israel ab, auch kulturell gesehen?
Ein Höhepunkt war sicherlich die Führung durch Jerusalem. Das war wie „Geschichte live“ erleben, all die Pilger und die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen! Dort haben wir auch Yad Vashem besucht, wo die Erinnerung an die Vergangenheit bewahrt und ihre Bedeutung an kommende Generationen vermittelt wird. Auch wenn das bedrückend war, so gehört es doch zu einem Israel-Besuch dazu.

Würden Sie anderen Ausbilder*innen empfehlen, sich für das Programm zu bewerben?
Ja, denn ein solcher Schritt erweitert fachlich und persönlich den Horizont, auch für eine*n Ausbilder*in. Man wird mit der Zeit betriebsblind, kennt nur das eigene System und kann sich viele Sachen gar nicht vorstellen. Israel war für mich eine große Bereicherung, weil es wieder andere Blickwinkel eröffnet hat, neue Perspektiven.

Und Ihre Auszubildenden? Würden Sie denen einen Austausch mit Israel nahelegen?
Wenn es eine Möglichkeit gäbe, auf jeden Fall. Gerade in der heutigen Zeit halte ich es für wichtig, dass junge Leute die Gelegenheit haben, raus aus Deutschland zu gehen und zu „Botschafter*innen für Europa und die Welt“ zu werden. Israel bietet diesbezüglich Einblicke, die sie in europäischen Ländern so kaum gewinnen können.

Die Fragen stellte Manfred Kasper.